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ADHS verstehen

Springende Gedanken, vergessene Termine trotz mehrfacher Erinnerungen, überwältigende Gefühle und alltägliche Aufgaben, die manchmal unüberwindbar erscheinen – ADHS ist eine facettenreiche Form der Neurodivergenz, die das Leben tiefgreifend prägt. Doch hinter den bekannten Klischees vom „Zappelphilipp“ oder der verträumten Tagträumerin verbirgt sich weit mehr: Eine grundlegend andere Art, die Welt wahrzunehmen, zu denken und zu fühlen.

Diese besondere neurologische Variation bringt ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich, aber auch bemerkenswerte Stärken und Fähigkeiten. Sie formt nicht nur die Art, wie Menschen mit ADHS ihren Alltag erleben und gestalten, sondern auch wie sie Beziehungen führen, arbeiten und kreativ werden.

Was ist ADHS wirklich?

Jenseits der Stereotypen

ADHS ist keine „Störung“ im klassischen Sinne, sondern eine natürliche Variation menschlicher Gehirnentwicklung. Sie zeigt sich in verschiedenen grundlegenden Aspekten des Erlebens und Verhaltens:

Informationsverarbeitung und Filterung: Das ADHS-Gehirn verarbeitet Eindrücke und Informationen intensiver und direkter. Während das neurotypische Gehirn automatisch viele Reize ausfiltert, nehmen Menschen mit ADHS ihre Umgebung oft ungefiltert und in ihrer ganzen Intensität wahr. Das kann bereichernd sein, aber auch schnell zu Überlastung führen.

Aufmerksamkeitssteuerung: Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, funktioniert bei ADHS anders. Statt einer gleichmäßigen, willentlich steuerbaren Aufmerksamkeit erleben Menschen mit ADHS oft Phasen intensivster Fokussierung (Hyperfokus) im Wechsel mit Phasen, in denen die Konzentration schwer zu halten ist – besonders bei Tätigkeiten, die nicht intrinsisch motivierend sind.

Emotionales Erleben: Gefühle werden bei ADHS oft intensiver und unmittelbarer erlebt. Die emotionale Regulation folgt dabei eigenen Mustern: Gefühle können schneller aufsteigen, stärker ausgeprägt sein und sich rascher wandeln als bei neurotypischen Menschen. Dies betrifft sowohl positive als auch herausfordernde Emotionen.

Zeit- und Energiemanagement: Die Wahrnehmung und Organisation von Zeit gestaltet sich bei ADHS grundlegend anders. Während neurotypische Menschen oft ein intuitives Zeitgefühl haben, kann Zeit für Menschen mit ADHS sehr unterschiedlich „fließen“ – manchmal wie im Flug vergehen, manchmal endlos erscheinen. Auch die Energieverteilung folgt oft anderen Mustern, mit intensiven Aktivitätsphasen und Zeiten der Erschöpfung.

Interaktion mit der Umwelt: Menschen mit ADHS nehmen ihre Umgebung oft lebendiger und detailreicher wahr. Diese intensive Wahrnehmung beeinflusst ihre Interaktionen – sowohl mit der physischen Umwelt als auch in sozialen Beziehungen. Sie kann zu einer besonderen Sensibilität für Stimmungen und Atmosphären führen, aber auch schneller zu sensorischer Überladung.

ADHS ist keine Kinderkrankheit und sie wächst sich auch nicht mit dem Alter aus und verschwindet. Das Erscheinungsbild verändert sich zwar über die Jahre, aber wer mit ADHS geboren wurde, der wird es auch das ganze Leben lang behalten. 

Erscheinungsformen der ADHS

ADHS zeigt sich bei jedem Menschen auf eine einzigartige Weise – es gibt nicht „die eine“ ADHS. Während manche Menschen vor allem mit innerer Unruhe und Konzentrationsschwierigkeiten zu tun haben, erleben andere eine ausgeprägte körperliche Hyperaktivität oder Impulsivität. Viele vereinen auch verschiedene dieser Aspekte in sich.

Die medizinische Klassifikation unterscheidet zur besseren Einordnung drei Haupttypen. Diese Einteilung ist dabei weniger als starre Kategorisierung zu verstehen, sondern vielmehr als Orientierungshilfe, um die verschiedenen Erscheinungsformen besser zu verstehen und passende Unterstützung anbieten zu können:

Vorwiegend unaufmerksamer Typ

  • Schwierigkeiten, längere Zeit fokussiert zu bleiben
  • Leichte Ablenkbarkeit durch externe und interne Reize
  • Herausforderungen bei der Organisation und Planung
  • Häufiges „Tagträumen“ oder „gedankliches Abdriften“

Vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ

  • Starker Bewegungsdrang
  • Schwierigkeiten, stillzusitzen oder ruhig zu bleiben
  • Tendenz zu spontanen, unüberlegten Handlungen
  • Innere Unruhe und „Getriebensein“

Kombinierter Typ (ADHS-Typen 1 und 2)

  • Zeigt Merkmale beider vorherigen Typen
  • Häufigste diagnostizierte Form
  • Individuell unterschiedliche Ausprägung der einzelnen Aspekte

ADHS im Erwachsenenalter

Lange Zeit galt ADHS als reine „Kinderkrankheit“, die sich im Erwachsenenalter „auswächst“. Heute wissen wir: ADHS ist eine lebenslange neurologische Variation. Was sich jedoch verändert, ist ihre Erscheinungsform. Viele Erwachsene lernen im Laufe ihres Lebens, mit ihren ADHS-typischen Besonderheiten umzugehen und entwickeln eigene Strategien – die Grundzüge ihrer Informationsverarbeitung und Wahrnehmung bleiben aber bestehen:

  • Offensichtliche Hyperaktivität wandelt sich oft in innere Unruhe
  • Entwicklung von Kompensationsstrategien maskiert typische Symptome
  • Berufliche und soziale Anforderungen können neue Herausforderungen schaffen
  • Erwachsene entwickeln oft ein besseres Verständnis ihrer Besonderheiten

Geschlechterspezifische Unterschiede

Die Erkenntnis, dass sich ADHS bei verschiedenen Geschlechtern unterschiedlich zeigen kann, ist verhältnismäßig neu. Jahrzehntelang orientierte sich das Verständnis von ADHS primär an der „klassischen“ Erscheinungsform bei Jungen und Männern. Dies führte dazu, dass vor allem Mädchen und Frauen häufig übersehen oder erst spät diagnostiziert wurden. Heute wissen wir, dass ADHS sich geschlechtsspezifisch sehr unterschiedlich manifestieren kann – ein Wissen, das für Diagnostik und Unterstützung gleichermaßen wichtig ist:

Häufige Präsentation bei Frauen/Mädchen:

  • Eher nach innen gerichtete Symptome
  • Tagträumen und geistige Abwesenheit
  • Perfektionismus als Kompensation
  • Verstärktes Masking (Verbergen der Symptome)
  • Häufig spätere oder übersehene Diagnose

Häufige Präsentation bei Männern/Jungen:

  • Deutlichere äußere Symptome
  • Hyperaktivität und Impulsivität
  • Auffälligeres Verhalten
  • Frühere Erkennung und Diagnose

ADHS in verschiedenen Lebensphasen

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Die Erscheinungsform von ADHS wandelt sich im Laufe des Lebens und stellt Menschen in verschiedenen Altersstufen vor unterschiedliche Herausforderungen. Das Verständnis dieser Veränderungen ist wichtig für eine altersgerechte Unterstützung und Begleitung:

Grundschulalter (6-10 Jahre)
  • Längeres Stillsitzen und aufmerksames Zuhören im Unterricht fallen besonders schwer, was sich häufig in häufigem Aufstehen, Herumlaufen oder „Hineinrufen“ zeigt.
  • Die Organisation von Schulmaterialien stellt eine große Herausforderung dar; Hefte und Stifte werden häufig vergessen oder verlegt, Hausaufgaben nicht vollständig notiert.
  • Im Umgang mit Mitschülern zeigt sich oft impulsives Verhalten, etwa durch unbeabsichtigtes Unterbrechen oder spontanes Einmischen in Spiele.
  • Mehrstufige Anweisungen wie „Hol dein Mathebuch raus, schlag Seite 23 auf und löse Aufgabe 4“ können schnell überfordernd wirken, da einzelne Schritte vergessen werden.
  • Die motorische Unruhe ist in diesem Alter meist sehr deutlich sichtbar und zeigt sich zum Beispiel in ständigem Wippen, Kippeln mit dem Stuhl oder Spielen mit Gegenständen.
  • Die zunehmend komplexeren schulischen Anforderungen, wie längere Hausarbeiten oder selbstständiges Lernen, stellen eine wachsende Herausforderung dar.
  • Die offensichtliche Hyperaktivität wandelt sich häufig in eine permanente innere Unruhe und Rastlosigkeit, die von außen weniger sichtbar, aber nicht weniger belastend ist.
  • Langfristige Planungsaufgaben wie Hausarbeiten oder Prüfungsvorbereitung werden zur besonderen Hürde, da sie ein hohes Maß an Selbstorganisation erfordern.
  • Die für ADHS typischen Schwierigkeiten mit der emotionalen Regulation werden durch die hormonellen Veränderungen der Pubertät zusätzlich verstärkt.
  • Soziale Beziehungen werden komplexer und anspruchsvoller, was neue Herausforderungen in Freundschaften und ersten romantischen Beziehungen mit sich bringt.
  • Der Übergang in Studium, Ausbildung oder Beruf bringt neue Anforderungen an Selbstorganisation und Eigenverantwortung mit sich, die oft überwältigend erscheinen können.
  • Die selbstständige Organisation des Alltags wird zur zentralen Herausforderung, von Terminplanung über Haushaltsführung bis hin zu finanzieller Verwaltung.
  • Beziehungen und Partnerschaften gewinnen an Bedeutung und erfordern neue soziale und emotionale Kompetenzen.
  • In dieser Phase werden häufig erstmals eigene Strategien entwickelt, um mit den ADHS-typischen Herausforderungen umzugehen.
  • Viele setzen sich in diesem Alter zum ersten Mal bewusst mit ihrer ADHS auseinander, oft ausgelöst durch zunehmende Alltagsschwierigkeiten.
  • Die berufliche Entwicklung stellt hohe Anforderungen an Organisation, Zuverlässigkeit und kontinuierliche Leistung, was mit ADHS besonders herausfordernd sein kann.
  • Die Balance zwischen Beruf, Familie und persönlichen Bedürfnissen erfordert ein komplexes Zeitmanagement, das mit ADHS oft schwer zu bewältigen ist.
  • Über die Jahre entwickelte Kompensationsstrategien können zwar sehr effektiv sein, sind aber oft auch mental und körperlich erschöpfend.
  • Gesundheitliche Aspekte wie chronischer Stress und Burnout-Gefahr gewinnen an Bedeutung, da die ständige Kompensation sehr kraftraubend sein kann.
  • Besonders bei Frauen kommt es in dieser Lebensphase häufig zu späten Diagnosen, oft ausgelöst durch zunehmende Überlastung oder die ADHS-Diagnose der eigenen Kinder.
  • Die ADHS-Symptomatik verändert sich im Alter, wobei die innere Unruhe oft bestehen bleibt, während sich Aufmerksamkeit und Konzentration anders manifestieren.
  • Die normalen kognitiven Alterungsprozesse können sich mit ADHS-bedingten Herausforderungen überlagern und diese verstärken.
  • Der Übergang in den Ruhestand erfordert eine komplette Neuorganisation des Alltags, was mit ADHS besondere Herausforderungen mit sich bringen kann.
  • Die über Jahrzehnte entwickelten Bewältigungsstrategien müssen an die neue Lebenssituation angepasst werden.
  • Durch die zunehmende gesellschaftliche Aufmerksamkeit für ADHS im Erwachsenenalter kommt es auch in dieser Altersgruppe noch zu Erstdiagnosen.

Diese verschiedenen Lebensphasen erfordern jeweils angepasste Unterstützungsangebote und Strategien. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass die Übergänge zwischen den Phasen fließend sind und jeder Mensch seine individuelle Entwicklung durchläuft.

Kognitive Besonderheiten

Informationsverarbeitung

Menschen mit ADHS nehmen Informationen oft anders wahr und verarbeiten sie auf ihre eigene Art:

Reizverarbeitung:

  • Intensive Wahrnehmung von Umgebungsreizen
  • Schwierigkeiten beim Ausfiltern „unwichtiger“ Informationen
  • Gleichzeitige Verarbeitung vieler Eindrücke
  • Schnelle Überlastung durch Reizüberflutung

Denkmuster:

  • Assoziatives, sprunghaftes Denken
  • Kreative Verknüpfung verschiedener Ideen
  • Non-lineare Problemlösung
  • Intuitive Erfassung komplexer Zusammenhänge

Hyperfokus und Aufmerksamkeit

Ein oft übersehener Aspekt von ADHS ist die Fähigkeit zum Hyperfokus:

  • Intensive Konzentration auf interessante Tätigkeiten
  • Völliges Aufgehen in bestimmten Aktivitäten
  • Verlust des Zeitgefühls während des Hyperfokus
  • Schwierigkeit, den Fokus willentlich zu lenken

Zeitwahrnehmung und Objektpermanenz

ADHS beeinflusst fundamental unser Verhältnis zu Zeit und Raum:

Zeitwahrnehmung:

  • „Zeit-Blindheit“ – Schwierigkeiten bei der Einschätzung von Zeitspannen
  • Leben im „Jetzt“ – reduzierte Verbindung zu Vergangenheit und Zukunft
  • Herausforderungen bei der langfristigen Planung
  • Probleme mit Terminen und Zeitmanagement

Objektpermanenz:

  • „Aus den Augen, aus dem Sinn“ – Phänomen
  • Schwierigkeiten, nicht unmittelbar Sichtbares präsent zu halten
  • Auswirkungen auf Organisation und Beziehungen
  • Bedarf an visuellen Erinnerungssystemen

Emotionale Aspekte

ADHS geht oft mit einem intensiven emotionalen Erleben einher:

Emotionale Intensität:

  • Starke, unmittelbare Gefühlsreaktionen
  • Tiefes Empfinden von Freude und Schmerz
  • Schwierigkeiten bei der Gefühlsregulation
  • Schnelle Stimmungswechsel

Rejection Sensitive Dysphoria (RSD):

  • Übersteigerte Empfindlichkeit gegenüber Ablehnung
  • Intensive Reaktionen auf Kritik
  • Vermeidungsverhalten aus Angst vor Zurückweisung
  • Auswirkungen auf Selbstwert und Beziehungen

Dopamin und Motivation

ADHS wird stark vom Dopamin-System beeinflusst:

  • Unterschiedliche Reaktion auf Belohnungsreize
  • Schwierigkeiten bei der Aktivierung für uninteressante Aufgaben
  • Suche nach unmittelbarer Befriedigung
  • Herausforderungen bei langfristiger Motivation

Alltag und praktische Aspekte

Exekutive Funktionen

Die exekutiven Funktionen sind die „Dirigenten“ unseres Gehirns – sie koordinieren unser Denken und Handeln, helfen uns bei der Planung und Umsetzung von Aufgaben. Bei ADHS arbeiten diese Funktionen anders, was sich auf viele Lebensbereiche auswirkt. Was für andere selbstverständlich erscheint, kann dadurch zur echten Herausforderung werden. Diese Besonderheiten zeigen sich besonders in zwei Kernbereichen:

Planungsfähigkeit:

  • Schwierigkeiten bei der strukturierten Aufgabenplanung erschweren oft den Überblick über anstehende Projekte und deren zeitliche Koordination.
  • Das Setzen und Einhalten von Prioritäten fällt häufig schwer, da die unmittelbare Dringlichkeit einer Aufgabe nicht immer erkannt wird.
  • Die Zeiteinteilung stellt eine besondere Herausforderung dar, da die Einschätzung von Zeitspannen oft nicht intuitiv funktioniert.
  • Prokrastination tritt häufig auf, nicht aus Faulheit, sondern weil die Aktivierung für nicht unmittelbar motivierende Aufgaben erschwert ist.

Organisationsfähigkeit:

  • Die Organisation von Materialien und Unterlagen erfordert besondere Strategien, da Dinge leicht verlegt oder vergessen werden.
  • Das Aufrechterhalten von Ordnungssystemen fällt schwer, da sie nicht automatisch in Routinen übergehen.
  • Die Verwaltung von persönlichem Besitz kann herausfordernd sein, besonders wenn Dinge nicht im direkten Sichtfeld sind.
  • Externe Strukturierungshilfen sind oft notwendig, müssen aber individuell angepasst und aktiv gepflegt werden.

Energiemanagement

Der Umgang mit der eigenen Energie folgt bei ADHS oft einem anderen Muster als bei neurotypischen Menschen. Statt einer gleichmäßigen Energieverteilung über den Tag erleben viele Menschen mit ADHS starke Schwankungen – von Phasen überbordender Energie bis hin zu Momenten völliger Erschöpfung. Dieses besondere Energiemuster erfordert ein bewusstes Management und Verständnis:

  • Die Energieniveaus schwanken oft stark und folgen dabei nicht unbedingt einem vorhersehbaren Muster.
  • Intensive Aktivitätsphasen können plötzlich von tiefer Erschöpfung abgelöst werden.
  • Die ständige Reizverarbeitung und erhöhte Aufmerksamkeit verbrauchen mehr Energie als bei neurotypischen Menschen.
  • Regelmäßige Erholungspausen sind essentiell, auch wenn sie im Alltag oft schwer einzuplanen sind.

Beziehungsgestaltung

Die Art, wie Menschen mit ADHS Beziehungen erleben und gestalten, unterscheidet sich oft von neurotypischen Mustern. Ihre intensive Wahrnehmung, das besondere emotionale Erleben und die Herausforderungen mit Objektpermanenz prägen dabei maßgeblich die Beziehungsgestaltung. Dies kann sowohl zu besonders tiefen und authentischen Verbindungen führen als auch spezifische Herausforderungen mit sich bringen:

  • Intensive und authentische Verbindungen entstehen oft spontan und können sehr tief gehen.
  • Die regelmäßige Kontaktpflege kann trotz echter Zuneigung eine Herausforderung darstellen.
  • Soziale Konventionen und ungeschriebene Regeln sind nicht immer intuitiv verständlich.
  • Verständnis und Akzeptanz von beiden Seiten sind wichtig für gelingende Beziehungen.

Diagnose und Behandlung

Der Weg zur Diagnose

Der Weg zu einer ADHS-Diagnose ist oft lang und nicht immer geradlinig. Für viele Menschen bedeutet die Diagnose aber einen wichtigen Wendepunkt: Endlich gibt es eine Erklärung für jahrelange Schwierigkeiten und Herausforderungen. Besonders Erwachsene berichten häufig von einem Gefühl der Erleichterung, wenn sie nach Jahren des Nicht-Verstehens endlich einen Namen für ihre Erfahrungen haben.

Diagnostische Kriterien:

  • Die ADHS-typischen Merkmale müssen sich in verschiedenen Lebensbereichen zeigen, etwa in der Schule oder am Arbeitsplatz, zu Hause und in sozialen Situationen.
  • Ein Teil der Symptome muss bereits in der Kindheit vorhanden gewesen sein, auch wenn sie damals vielleicht nicht als ADHS erkannt wurden.
  • Die Auswirkungen müssen zu deutlichen Einschränkungen oder Schwierigkeiten im Alltag führen.
  • Andere mögliche Ursachen für die Symptome müssen fachkundig ausgeschlossen werden.

Der diagnostische Prozess:

  • Eine gründliche Anamnese beleuchtet die persönliche Entwicklung von der Kindheit bis heute und sammelt Informationen über aktuelle Herausforderungen.
  • Die Verhaltensbeobachtung erfolgt oft über einen längeren Zeitraum und bezieht idealerweise verschiedene Lebensbereiche ein.
  • Psychologische Tests können helfen, spezifische ADHS-typische Besonderheiten in der Aufmerksamkeit und Konzentration zu erfassen.
  • Eine medizinische Untersuchung schließt andere gesundheitliche Ursachen aus und prüft mögliche Begleiterkrankungen.

Therapieoptionen

Die Behandlung von ADHS ist so individuell wie die Menschen, die damit leben. Es gibt nicht den einen richtigen Weg – vielmehr geht es darum, die Kombination von Unterstützungsangeboten zu finden, die für die jeweilige Person am besten passt.

Verhaltenstherapie: Die Verhaltenstherapie bietet einen geschützten Raum, um sich mit den eigenen ADHS-typischen Besonderheiten auseinanderzusetzen und konstruktive Wege im Umgang damit zu entwickeln.

  • Gemeinsam werden praktische Strategien entwickelt, um den Alltag besser zu bewältigen und mit ADHS-typischen Herausforderungen umzugehen.
  • Die Selbstorganisation wird durch das Erlernen und Einüben hilfreicher Techniken und Routinen verbessert.
  • Ein wichtiger Fokus liegt auf dem Umgang mit emotionalen Herausforderungen und der Entwicklung von Regulationsstrategien.
  • Die Stärkung des Selbstwertgefühls und die Entwicklung einer positiven Identität mit ADHS sind zentrale Therapieziele.

ADHS-Coaching: ADHS-Coaching ist eine sehr praktische, alltagsnahe Form der Unterstützung. Coaches begleiten bei der Entwicklung und Umsetzung von Strategien für konkrete Herausforderungen.

  • Im Mittelpunkt steht die praktische Unterstützung bei der Bewältigung alltäglicher Herausforderungen.
  • Gemeinsam werden individuelle Strukturen und Routinen entwickelt, die zum persönlichen Lebensstil passen.
  • Für Beruf und Studium werden spezifische Strategien erarbeitet, die die eigenen Stärken nutzen.
  • Die Umsetzung wird aktiv begleitet und die Strategien werden bei Bedarf angepasst.

Ergotherapie: Die Ergotherapie unterstützt dabei, Alltagsaktivitäten besser zu bewältigen und die eigenen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

  • Die Handlungsplanung wird durch praktische Übungen und Aktivitäten verbessert.
  • Verschiedene Übungen helfen dabei, die Aufmerksamkeit besser zu steuern.
  • Es werden praktische Arbeitsstrategien entwickelt und eingeübt.
  • Bei Bedarf wird auch an der Verbesserung motorischer Fähigkeiten gearbeitet.

Medikation

Die Entscheidung für oder gegen eine medikamentöse Behandlung ist sehr persönlich und sollte ohne äußeren Druck getroffen werden. Medikamente können eine hilfreiche Unterstützung sein, sind aber keine Voraussetzung für ein erfülltes Leben mit ADHS.

Wirkungsweisen:

  • ADHS-Medikamente können die Übertragung von Botenstoffen wie Dopamin im Gehirn beeinflussen und dadurch die Konzentration und Aufmerksamkeitssteuerung verbessern.
  • Viele Menschen berichten von einer deutlichen Reduzierung ihrer inneren Unruhe und impulsiven Reaktionen.
  • Die emotionale Regulation fällt oft leichter, wodurch Stimmungsschwankungen weniger stark ausgeprägt sein können.
  • Die Wirkung ist individuell sehr unterschiedlich und muss sorgfältig beobachtet werden.

Persönliche Entscheidungsfindung:

  • Die Entscheidung für oder gegen Medikamente sollte gut informiert und ohne Zeitdruck getroffen werden.
  • Die Wirksamkeit sollte regelmäßig überprüft und die Dosierung bei Bedarf angepasst werden.
  • Medikamente können gut mit anderen Therapieformen kombiniert werden und diese sinnvoll ergänzen.
  • Die persönliche Entscheidung sollte von Ärzten und dem Umfeld respektiert werden.

Ganzheitlicher Ansatz

Unabhängig von der Wahl der Therapieformen ist ein ganzheitlicher Ansatz wichtig. Dabei spielen auch Faktoren wie Bewegung, Ernährung, ausreichend Schlaf und ein unterstützendes soziales Umfeld eine wichtige Rolle. Die Behandlung sollte immer darauf abzielen, die individuellen Stärken zu fördern und gleichzeitig praktische Unterstützung bei Herausforderungen zu bieten.

Wichtig ist auch zu verstehen, dass der Weg mit ADHS keine gerade Linie ist. Es gibt Höhen und Tiefen, Phasen in denen alles gut läuft und solche, in denen mehr Unterstützung nötig ist. Das ist normal und in Ordnung. Mit der richtigen Unterstützung und Begleitung kann jeder Mensch mit ADHS seinen persönlichen Weg zu einem erfüllten Leben finden.

Häufige Fragen zu ADHS

Früher gab es doch auch kein ADHS - ist das nicht eine Modediagnose?

Diese Frage hören viele Menschen mit ADHS regelmäßig. Tatsächlich wurde ADHS bereits 1902 erstmals wissenschaftlich beschrieben, damals noch unter anderem Namen. Dass heute mehr Menschen diagnostiziert werden, liegt vor allem an unserem besseren Verständnis: Wir wissen jetzt, dass ADHS sich sehr unterschiedlich zeigen kann und nicht nur bei „hyperaktiven Jungs“ vorkommt. Besonders die Erkenntnis, dass auch Mädchen und Erwachsene betroffen sein können, hat zu mehr Diagnosen geführt.

Zudem stellt unsere moderne Gesellschaft mit ihrer Informationsflut, ständiger Erreichbarkeit und hohen Anforderungen an Selbstorganisation besondere Herausforderungen an Menschen mit ADHS. Schwierigkeiten, die früher vielleicht weniger auffielen, werden heute deutlicher sichtbar.

ADHS tritt nicht plötzlich im Erwachsenenalter auf – es ist von Geburt an da. Allerdings wird es bei vielen Menschen erst spät erkannt. Das hat verschiedene Gründe: Manche entwickeln in Kindheit und Jugend so gute Kompensationsstrategien, dass ihre Schwierigkeiten lange unbemerkt bleiben. Oft führen erst die komplexeren Anforderungen des Erwachsenenlebens dazu, dass diese Strategien nicht mehr ausreichen.

Viele Menschen, besonders Frauen, werden auch erst durch die ADHS-Diagnose ihrer Kinder auf ihre eigenen ADHS-typischen Merkmale aufmerksam. Wenn sie zurückblicken, erkennen sie oft, dass viele ihrer lebenslangen Herausforderungen durch ADHS erklärbar sind.

Nein, absolut nicht! Viele Menschen mit ADHS sind hochintelligent und können sehr gute schulische Leistungen erbringen. Allerdings kann ADHS das Lernen und die Leistungserbringung erschweren, auch wenn die intellektuellen Fähigkeiten vorhanden sind. Entscheidend ist oft nicht die Intelligenz, sondern wie gut die Lernsituation zu den ADHS-typischen Besonderheiten passt.

Während manche Schüler mit ADHS in standardisierten Testsituationen Schwierigkeiten haben, können sie bei Themen, die sie interessieren, zu Höchstleistungen auflaufen. Viele entwickeln auch kreative Lernstrategien, die ihnen helfen, ihr Potenzial zu entfalten. Mit der richtigen Unterstützung und Anpassung der Lernumgebung können Menschen mit ADHS in der Schule sehr erfolgreich sein.

Diese Entscheidung ist sehr persönlich und hängt von vielen Faktoren ab. In Deutschland besteht keine generelle Pflicht, den Arbeitgeber über eine ADHS-Diagnose zu informieren. Ausnahmen gelten nur für Berufe, bei denen die Sicherheit anderer direkt betroffen sein könnte.

Die Entscheidung sollte gut überlegt sein: Eine offene Kommunikation kann zu besserem Verständnis und hilfreichen Arbeitsplatzanpassungen führen. Andererseits gibt es leider noch immer Vorurteile. Viele erfolgreiche Menschen mit ADHS entscheiden sich dafür, zunächst eigene Strategien zu entwickeln und die Diagnose nur zu thematisieren, wenn es konkrete Schwierigkeiten gibt, die sich durch Anpassungen am Arbeitsplatz lösen ließen.

Die Erklärung von ADHS kann herausfordernd sein, besonders weil viele Menschen nur die Klischees kennen. Ein hilfreicher Ansatz ist es, konkrete Alltagsbeispiele zu nutzen: Etwa wie sich Reizüberflutung anfühlt (wie ein Radio, das ständig zwischen allen Sendern hin und her schaltet), wie Zeitblindheit funktioniert (als müsste man ohne Uhr pünktlich sein) oder wie Hyperfokus sich auswirkt (wie ein Film, der einen so fesselt, dass man alles um sich herum vergisst).

Wichtig ist auch zu betonen, dass ADHS nicht nur Herausforderungen mit sich bringt, sondern auch Stärken: Kreativität, schnelles Denken, Begeisterungsfähigkeit und die Fähigkeit, in Krisensituationen besonders gut zu funktionieren. ADHS zu erklären bedeutet auch, zu vermitteln, dass es eine andere, gleichwertige Art ist, die Welt wahrzunehmen und in ihr zu agieren.

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