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Impostor-Syndrom bei neurodivergenten Menschen: Selbstzweifel und Inakzeptanz im Alltag

Selbstzweifel, Ängste und das Gefühl, ein Betrüger zu sein; die anderen können den eigenen Job viel besser, man hat seinen Erfolg nicht wirklich verdient, sondern hatte nur Glück – kennst du diese Gefühle auch? 

Wir alle zweifeln hin und wieder an uns. Bei Menschen mit Impostor-Syndrom sind diese Gefühle und Ängste jedoch praktisch allgegenwärtig. Dieses Phänomen betrifft viele Menschen, unabhängig von ihrem Hintergrund oder ihren Fähigkeiten. Doch bei neurodivergenten Menschen, die beispielsweise ADHS oder Autismus haben, können diese Gefühle noch intensiver und komplexer werden. 

ADHS und Neurodivergenz

 Wir neurodivergenten Menschen tragen oft eine Vielzahl einzigartiger Merkmale und Stärken in sich, die uns von der neurotypischen Bevölkerung unterscheiden. Unsere Gehirne funktionieren anders. Deshalb verhalten wir uns oft auch anders und fallen dementsprechend mehr oder weniger stark auf. 

Die besonderen Herausforderungen, mit denen wir neurodivergenten Menschen im Alltag konfrontiert sind, wie Schwierigkeiten in der Kommunikation, der sozialen Interaktion oder der Informationsverarbeitung, können das Impostor-Syndrom bei uns verstärken und zu einem ständigen Begleiter werden lassen.

Das Impostor-Syndrom: Wenn die eigenen Erfolge in Frage gestellt werden

Das Impostor-Syndrom beschreibt das Gefühl, dass man nicht den eigenen Erfolgen und Fähigkeiten entspricht. Du könntest denken, dass du nur durch Glück oder Zufall Erfolge erzielt hast und eigentlich nicht genug bist. Das Syndrom spielt mit deinem Verstand und erzählt dir, dass du ein Betrüger bist, der jederzeit entlarvt werden könnte.

Für neurodivergente Menschen kann das Impostor-Syndrom besonders belastend sein. Die einzigartigen Merkmale und Herausforderungen, die mit ADHS, Autismus oder anderen neurodivergenten Bedingungen einhergehen, können das Gefühl verstärken, nicht „normal“ oder ausreichend zu sein. Da wir in der Vergangenheit seit unserer Kindheit genau solche Erfahrungen gemacht haben, trifft das Impostor-Syndrom hier bei uns auf fruchtbaren Boden. 

 

  • Das Gefühl der Inauthentizität: Wir zweifeln daran, dass wir wirklich so erfolgreich, selbstbewusst oder sympathisch sind wie andere uns sehen. Ebenso daran, dass wir unsere Erfolge und Errungenschaften wirklich verdient haben. 

  • Überkompensation: Wir neurodivergenten Menschen versuchen oft, unsere vermeintlichen Defizite zu kompensieren, indem wir noch härter arbeiten und perfektionistische Standards an uns selbst setzen. Doch egal wie viel wir erreichen, das Gefühl des Betrugs bleibt bestehen.

  • Angst vor Entdeckung: Wir befürchten oft, dass andere herausfinden könnten, dass wir in Wirklichkeit nicht so kompetent oder talentiert sind, wie wir vorgeben zu sein. Diese Angst vor Entdeckung kann zu hohem Stress und Selbstzweifeln führen.

  • Selbstabwertung: Wir neigen dazu, unsere eigenen Fähigkeiten herunterzuspielen und uns mit anderen zu vergleichen. Wir denken meistens, dass andere Menschen viel besser sind als wir und dass wir nicht auf deren Niveau sind.

Ungefähr 70% aller Menschen sind mindestens einma in ihrem Leben vom Impostor-Syndrom betroffen.

Meine persönlichen Erfahrungen mit dem Impostor-Syndrom

Als spät diagnostizierte Autistin mit ADHS habe ich in meinem Leben viele Erfahrungen gemacht, die ich bestenfalls als „nicht optimal“ bezeichnen kann. Ich wurde als „nicht normal“ bezeichnet, als „nicht gut genug“ betitelt und es wurde angezweifelt, ob ich es in meinem Leben überhaupt zu etwas bringe.

Diese und ähnliche Erfahrungen machte ich seit meiner Kindheit. Heute bin ich 40. Wenn du über 30 Jahre solche Sätze über dich hörst, glaubst du sie irgendwann. Und dann hat das Impostor-Syndrom leichtes Spiel, wenn du es doch zu etwas bringst. 

 

Heute bin ich Texterin in einer Digitalagentur, mache zum Großteil das, was ich seit meiner Grundschulzeit geträumt habe: Ich verdiene Geld mit Schreiben. Gut, ich hab noch keine Romane veröffentlicht. Aber dieses Ziel habe ich noch nicht aufgegeben. Dennoch verdiene ich meinen Lebensunterhalt mit dem, was mir seit meiner Kindheit Spaß macht: Auf schriftliche Weise mit Worten „spielen“. Ich schreibe Website-Texte, Texte für Print-Produkte und mehr. Und das seit mehr als  3,5 Jahren. 

Und in dieser Zeit habe ich nicht die kleinste Kritik an meiner Arbeit erhalten. Oder an meinem Verhalten in der Agentur. Im Gegenteil: Ich werde gelobt. Für die verschiedensten Dinge. Ich bekomme Gehaltserhöhungen, verantwortungsvolle Aufgaben. Und oft denke ich: Was, wenn sie plötzlich merken, dass ich doch nicht so gut bin, wie sie glauben? Meine Kollegen haben Bücher veröffentlicht, studiert, teilweise ziemlich imposante Wege hinter sich. Nicht selten fühle ich mich, als könnten sie mehr als ich. 

Verständnis und Hilfe zum Realitätsdenken

Die Erfahrungen, die ich in diesem Job mache, stehen in krassem Gegensatz zu meiner Vergangenheit. Und sehr oft glaube ich nicht, dass ich das wirklich aus eigenem Antrieb geschafft habe. Dass ich einfach riesiges Glück gehabt habe. Nach dem Motto „Ein blindes Huhn findet auch mal einen Korn.“

Was mir enorm hilft, zu realisieren, wie viel davon wirklich meine eigene Leistung ist? Die Haltung meines Arbeitgebers und meiner Kollegen. Akzeptanz und Verständnis statt invalidieren. Und sie rücken mir immer wieder „den Kopf zurecht“ und zeigen mir, was ich wirklich kann. Dass ich gut bin. Nicht weniger als andere. 

Akzeptanz ist enorm wichtig

Was ist noch schlimmer als das Gefühl zu haben, nicht so viel Wert zu sein wie andere und als Betrüger zu leben? Mit diesem Gefühl nicht ernstgenommen zu werden. Das ist leider die Erfahrung, die viele von uns Betroffenen mit Impostor-Syndrom machen.

Wir werden belächelt, es wird abgewunken. „Das bildest du dir nur ein.“ „Das kommt dir nur so vor.“ „Sieh das doch nicht so dramatisch!“ 

Was aber die meisten nicht verstehen: Wir können diese Gefühle nicht auf Knopfdruck ausschalten. Diese Störung hat einen psychologischen Hintergrund. Und manche von uns schaffen es nicht ohne professionelle Hilfe, uns von diesem Selbstbild zu lösen und unser reales „Ich“ zu sehen. 

Diese Nicht-Akzeptanz hilft uns allerdings überhaupt nicht. Im Gegenteil: Sie macht die Sache meist noch schlimmer, weil wir das Gefühl vermittelt bekommen, dass wir uns aufspielen und in den Vordergrund drängen, überdramatisieren wollen. Dass wir uns Dinge einbilden, die gar nicht da sind. 

Selbstverständlich können uns andere an die „Realität“ erinnern. Aber bitte, ohne unsere Gefühle und Eindrücke abzuwerten oder zu invalidieren. 

Wie können wir als Gesellschaft dazu beitragen, dass Menschen mit Impostor-Syndrom sich ernstgenommen, akzeptiert und unterstützt fühlen?

Dass Menschen mit Impostor-Syndrom – egal ob neurodivergent oder neurotypisch – immer noch zu selten ernstgenommen werden, ist ein Problem der Gesellschaft. Ebenso sehe ich persönlich es auch als Aufgabe der Gesellschaft, das zu ändern. Aber wie lässt sich das bewerkstelligen?

Aufklärung ist nach wie vor eines der wichtigsten Instrumente. Die meisten Leute verstehen nicht, was das Impostor-Syndrom wirklich bedeutet. Wie es den Menschen damit geht. Dass es eben nicht einfach „überdramatisieren“ ist. Dass betroffene Personen wirklich leiden können. Deshalb ist es wichtig, darüber aufzuklären. 

Nur so können Vorurteile abgebaut und Empathie und Verständnis nachhaltig aufgebaut werden. Das bezieht sich auf die unterschiedlichsten Bereiche, besonders auch auf das Berufsleben. 

CarinaKludas

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